“Die Zivilcourage ist keine Tugend der demokratischen Gesellschaft als solcher. Sie kann auch nicht von oben verfügt werden. Sie ist eine Tugend des Einzelnen…” (aus dem Vorwort des Buches “München war anders!”) von KLAUS KELLE
München – Das NS-Dokumentationszentrum in der Brienner Straße in München ist nach eigener Aussage als Lern- und Erinnerungsort konzipiert. Es steht am historischen Standort des „Braunen Hauses“, der einstigen Parteizentrale der NSDAP in München. Auf vier Geschossen und 1.300 Quadratmetern Ausstellungsfläche setzt es sich mit der Geschichte Münchens während der Nazi-Jahre auseinander Das Ausstellungskonzept des 2012 ernannten Gründungsdirektors Prof. Winfried Nerdinger steht unter der Fragestellung: ‚Warum München? Und was geht uns das heute an? Ja, der Nationalsozialismus geht uns Deutsche immer etwas an, seine Auswirkungen sind bis heute in vielerlei Hinsicht spürbar, und es gibt nichts zu beschönigen über die Jahre der braunen Schreckensherrschaft. Doch das Münchner NS-Dokumentationszentrum macht es sich zu einfach, wie zwei Wissenschaftler jetzt in ihrem neu erschienenen Buch “München war anders!” nachweisen. So heißt es in einem Dokument der SPD-Führung aus dieser Zeit: “München ist keine nationalsozialistische Stadt und sie ist es auch nie gewesen.” Ja, in München gab es Nazis, es gab NS-Parteiveranstaltungen in großer Zahl, aber es gab auch einen alltäglichen zivilen Ungehorsam gegenüber den braunen Machthabern, das sich “Herauswinden” vieler Münchner Bürger, wie die Autoren Konrad Löw und Felix Dirsch akribisch zusammengetragen haben. Und es gab auch einen beispielhaften Mut zum Widerstand, etwa der studentischen Gruppe “Weiße Rose” um die Münchner Geschwister Sophie und Scholl (Foto), die bis heute ein Vorbild für Zivilcouragegegen gegen die Hitler-Diktatur im Alltag sind. Löw und Dirsch gehen mit ihrem Buch in die Tiefe, haben Zeitzeugen befragt und zeitgeschichtliche Quellen in großer Zahl ausgewertet. “Viele Münchner waren eindeutig gegen die Nazi-Herrschaft resistent, wenngleich es wie überall natürlich fanatische Anhänger und Mitläufer gegeben hat”, sagt Felix Dirsch im Gespräch mit BAYERN.jetzt. Und er nennt den deutschen Rekordmeister FC Bayern München als Beispiel dafür, wie sich die Stadt in vielen Bereichen den neuen Machthabern widersetzte. Als am 22. März 1933 der Hitler-treue Karl Fiehler Oberbürgermeister wurde, nachdem man seinen Vorgänger Karl Scharnagl aus dem Amt vertrieben hatte, trat am selben Tag der “jüdische Präsident” Kurt Landauer vom Amt als erster Mann beim FC Bayern zurück. Zwei weitere Juden im Vorstand mussten ebenfalls gehen: Meistertrainer Richard Dombi und Jugendleiter Otto Beer. NS-Funktionäre blieben jedoch weiter außen vor. Neuer FCB-Präsident wurde am 12. April Siegfried Herrmann, langjähriger Mitarbeiter Landauers und alles andere als ein Nazi-Freund. Erst im Jahr 1943 kam mit “Gausportwart” Josef Sauter ein NS-Mann an die Spitze des Vereins, der bis Kriegsende kommissarischer “Gemeinschaftsführer” blieb, so hieß das Amt zu der Zeit. Auch wenn die jüdische Führung 1933 den Verein verließ, blieb der FC Bayern München für die braunen Machthaber der ungeliebte “Judenklub”. Die Geschwister Scholl, der FC Bayern – das sind die großen Beispiele, die sich nennen lassen. Aber das Buch von Löw und Dirsch besticht erst durch die zahlreichen Zeugnisse aus der Bürgerschaft, darunter auch viele Münchner jüdischen Glaubens. Einer von ihnen ist Jakob Littner, am 17. April 1883 in Budapest geboren und 1912 nach München übergesiedelt. 1939 nach Prag weiter gereist und dort bis 1944 versteckt im Ghetto überlebt. In seinen Erinnerungen berichtet er von der heimlichen Hilfsbereitschaft vieler Münchner gegenüber den Juden in der Stadt. Littner schreibt: “Von nicht wenigen Juden konnte man erfahren, dass sie vor ihren Türen heimlich dorthin gelegte Lebensmittel, Milch, Brot usw. gefunden haben. (…) Dies sei ausdrücklich festgestellt zur Ehrenrettung des anständigen Teils der Münchner.” Keineswegs eine einzelne Stimme, es finden sich Dutzende solcher Zeitzeugen-Berichte in dem Buch. So schreibt die von der jüdischen Autorin Else Behrend-Rosenfeld, die einige Jahre in München lebte und erst 1944 geflüchtet ist: “Die Bevölkerung tut, als sähe sie die Sterne nicht. Viele Freundlichkeiten in der Öffentlichkeit und noch viel mehr im Geheimen werden uns erwiesen, Äußerungen der Verachtung und des Hasses uns gegenüber sind selten …” Bedauerlich, dass das Münchner NS-Dokumentationszetrum diese andere Seite der Geschichte bis heute nicht zu würdigen vermag. München war anders! (Konrad Löw/Felix Dirsch), Olzog Verlag, ISBN 978 – 3‑95768 – 182‑9